Über die „Tampon-Steuer“, Umsatzsteuer auf Bücher, Kinderkleidung und andere Ungereimtheiten
Die Anwendung unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze (MwSt) schafft Inkonsistenzen und Ungerechtigkeiten. In Großbritannien wird der niedrigere Mehrwertsteuersatz von 5% „VAT“ derzeit zum Beispiel auf Sanitärprodukte angewandt. Gemäß der populistischen Tageszeitung „Daily Mail“ fechten rebellische Mitglieder der konservativen Regierungspartei einen Kampf gegen die Umsatzsteuerrate auf weibliche Hygieneprodukte, als Beispiel für die Entscheidungsbefugnisse, die Großbritannien von der EU-Ebene zurück nach Westminster holen sollte.
Umsatzsteuerfreie Tampons als Frucht des Brexit
Einige Briten sehen sogar den niedrigsten EU-konformen Mehrwertsteuersatz (5%), zynisch als „Tamponsteuer“ betitelt, „als einen Affront gegen die Frauen, die keine andere Wahl haben, als die Last dieser Abgabe zu tragen“. In einer ungewöhnlichen Allianz mit Feministinnen verspricht Großbritanniens Anti-EU Partei "UKIP" mehrwertsteuerfreie Tampons (mit einer Einsparung für Frauen von ca. £2 pro Jahr) als „Vorteil“ eines Austritts aus der EU. Aber, wie der „Economist“ berichtete : „suchte am 17. März 2016 der britische Schatzkanzler George Osborne nach einem Kaninchen in seinem Nachtragshaushalts-Hut”, und zeigte, dass die britische Regierung bereit zu sein scheint, Regeln der Europäische Union zu brechen, festlegen, wie tief Mitgliedsländer Mehrwertsteuersätze auf bestimmte Waren senken können.
Das Problem ist nicht die Mehrwertsteuer auf Pizzadienste (in Gleichbehandlung mit Restaurantessen) oder Tampons an sich, sondern die oft schwer nachvollziehbaren und komplexen Regeln für die Ausnahmen:
Keine Mehrwertsteuer auf Take-away-Food, solange es kalt ist,
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Kleidung hat den Steuersatz Null, solange sie in Kindergrößen ist,
Mehrwertsteuerfreie Hubschrauber für die Superreichen, aber nicht Fahrräder oder Autos,
Auf Binden soll keine Mehrwertsteuer abgeführt werden, wenn sie für Frauen sind,
Jaffa-Cake sind mehrwertsteuerfrei, aber nicht Kekse,
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Nach umfangreichen Spenden eines Hotel-Milliardär, senkte Deutschlands letzte liberal-konservative Koalitionsregierung die „Umsatzsteuer“ auf Übernachtungen vom vollen auf den niedrigeren Satz, und schenkte deutschen Hotels damit Milliarden von Euros. Während für’s Schlafen jetzt die niedrigere Rate angesetzt wird, wird für’s Frühstück immer noch die volle Steuer in Rechnung gestellt. Die niedrigere Mehrwertsteuer verärgerte die anderen Unternehmer, für die die Mehrwertsteuer auf Geschäftsreisen keine Kosten verursachen, aber die das Buchen zweier unterschiedlicher Raten für Zimmer (7%) und Frühstück (19%) auf einer Rechnung als eine unnötige administrative Belastung ansehen. Und natürlich fehlen die von Hotelbesitzern gesparten Milliarden in den Budgets der Bundesländer. Diese Entscheidung war so schlecht, dass selbst die FDP, die ursprünglich den niedrigeren Preis auf Hotelzimmer erfochten hatte, mittlerweile verlangt, zum vollen Mehrwertsteuersatz zurückzukehren. So wie der Meinungswechsel des ehemaligen Liberal Vorsitzenden im UK, Nick Cleggs zu Studiengebühren die britischen „Liberal-Democrats” fast alle ihre Sitze im Unterhaus gekostet hat, war wohl diese Art der Klientelpolitik ein wesentlicher Faktor, dass die FDP (Liberale Partei) in den nachfolgenden Wahlen aus dem Bundestag flogen.
Viele Ökonomen sind gegen die Anwendung unterschiedlicher Steuersätze auf ähnliche Produkte, aus Angst, das Verhalten zu verzerren. Warum sollte eine Regierung Eltern bestrafen, die durch Mehrwertsteuerregeln mehr für Kleidung bezahlen müssen, wenn ihre Kinder größer sind? Es verschwendet auch Ressourcen, da Unternehmen ihre Produkte so anpassen, dass sie die Kriterien für die niedrigere Steuer erfüllen. In Großbritannien schrieben Verlage 20% Text in Fotobücher, um die Mehrwertsteuerbefreiung von Büchern zu erlangen.
„In der Regel werden die niedrigen Sätze mit Verteilungsgründen gerechtfertigt: Arme geben einen größeren Teil ihres Einkommens für Waren mit niedrigem Steuersatz aus, daher würde die uniforme Anwendung des vollen Steuersatz ihnen mehr schaden,“ kommentiert der „Economist“ und stellt fest: „Es gibt aber effizientere Möglichkeiten der Umverteilung als die Befreiung des Straußenfleischs von der Mehrwertsteuer. Ein ideales Steuersystem würde einen einheitlichen Mehrwertsteuersatz auf den gesamten Endverbrauch anwenden und dann die direkten Steuer- und Sozialleistungen für die Umverteilung nutzen.“ Zum Beispiel könnte Großbritannien den vollen Steuersatz auf Kinderkleidung anwenden, so wie in vielen anderen Ländern praktiziert:
Einfach die gleiche, volle Mehrwertsteuer auf alle Kleidung für Kinder und Erwachsene erheben.
Das Kindergeld um den Betrag erhöhen, den Familien nun durchschnittlich für Mehrwertsteuer auf Kinderkleidung aufwenden.
Diese recht einfache Änderung würde Kosten für Bürokratie und Durchsetzung einsparen. Sie wäre für die durchschnittliche britische Familie kostenneutral. Große Familien, wo ältere Geschwister Kleidung an jüngere Geschwister weitergeben, würden überproportional profitieren. Es wäre dagegen teurer für Familien, die viel Geld für teure Designerkleidung ausgeben. Es würden Kleidung, Spielzeug, Musikinstrumente, Fahrräder u.s.w. gleich behandelt. Es würde vermieden, Eltern zum Konsum von Kleidung statt Flöten oder Skatebords zu animieren.
Mehrwertsteuer sollte ohne Ausnahmen gleichmäßig auf alles erhoben werden!
Mit dem Ziel, die Mehrwertsteuersätze zu harmonisieren und Verzerrungen in grenzüberschreitenden Einkäufen zu reduzieren, verlangt die EU einen Mindestumsatzsteuersatz von derzeit 5%. Der „Economist“ schreibt: „Ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz würde Verzerrungen minimieren, jede Einmischung von Regierenden darüber, welche Art des Konsums gegenüber anderen bevorzugt wird, entfernen, und Teile des Steuer- und Sozialleistungssystems auf das konzentrieren, was sie am besten können.“
Laut einer umfassenden EU Studie ist der effektive Mehrwertsteuersatz des durchschnittlichen europäischen Haushalt nur 11% [Quelle: TAXUD/2012/DE/323 FWC No. TAXUD/2010/CC/104]. Eine Volkswirtschaft mit niedriger Sparquote und negativer Handelsbilanz - wie z.B. Großbritannien - hat Raum, die Mehrwertsteuer zum Beispiel auf 25% zu erhöhen, das wäre der Steuersatz im deutlich egalitäreren Schweden. Um regressive Nebeneffekte eines universellen Mehrwertsteuersatzes zu vermeiden, könnten die Einkommensteuerschwellen und Sozialleistungen erhöht werden.
Die sogenannte „Tamponsteuer“
Die EU drängt Mitgliedstaaten, Nullsätze abzuschaffen und eine Umsatzsteuer von mindestens 5 % anzusetzen. So scheint es, dass die Regeln sich in eine gesunde Richtung bewegen, auch wenn dies für EU-freundliche Politiker in Großbritannien ungünstig ist, wenn es um die Wut der Presse über Steuer auf Damenbinden geht. Hoffentlich wird die Bereitschaft der britischen Regierung, EU-Umsatzsteuerregeln im Vorfeld des Brexit-Referendums zu brechen, nicht längerfristig die Harmonisierung der Mehrwertsteuer verhindern. Am Ende gibt es immer noch die Chance, dass der Austritt Großbritanniens der EU erlaubt, das zu tun, was wirtschaftlich sinnvoll ist, und es der britischen Regierung überlässt zu tun, was immer die UKIP oder andere Populisten fordern.